Zombie: Über den Krieg in der Ukraine

Text von Benjamin Steininger und Alexander Klose über die “Geister der Petromoderne”, erschienen im Juliheft 2023 der Zeitschrift Merkur.

Ein russischer Panzer hat sich festgefahren. Von seiner Besatzung verlassen, wird er von einem ukrainischen Landwirt mit dem Traktor geborgen. Zahlreiche Varianten dieser Szene kursieren im Frühjahr 2022 in sozialen Netzwerken. Zur Beute der Traktoren werden sehr verschiedene räder- oder kettengestützten Kampffahrzeuge. Von veralteten T 62 Panzern aus dem Jahr des Berliner Mauerbaus bis hin zum gepanzerten Raketenwerfer TOS – Waffensysteme, die in Afghanistan 1980 erstmals eingesetzt wurden, die Grozny 1999 und Aleppo 2014 in Schutt und Asche gelegt hatten, liegen wie gelähmte Käfer im Dreck. 

(…)

In der Szene mit Traktor und Panzer manifestieren sich exemplarisch komplexe und zum Teil widersprüchliche Verhältnisse von petromoderner Geschichte, Technik und Politik, Menschen und Landschaften. Wie schon die Corona-Krise erscheint der Ukraine-Krieg als zentrale Zäsur, insbesondere, wenn man die Gegenwart als  Petromoderne untersucht.

(…)

Als einen »Zombie« beschreibt der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin den zum Leben erweckten »toten Körper des Sowjetischen«. Doch was sich nach unserer Auffassung 2022 wie ein untotes Monster aufbäumte, ist die Petromoderne insgesamt: alter geostrategischer Ungeist und falsche Geschichtspolitiken statt neues öko-geohistorisches und kooperatives Bewusstsein. Und konkret: Rüstungsgüter, die vor Jahrzehnten produziert worden waren und die man als Fossilien eines überwundenen Kalten Krieges hatte vergessen können, lassen ein Panorama alter petromoderner Kriege aufleben – in Echtzeit verbreitet in einer Unzahl von Bildern und Videos in digitalen Medien.

2022 in der Ukraine stehen Panzer und Traktor für noch immer nicht gelöste Konflikte. In ihrem technischen Bezug zur Landschaft ähneln sich die beiden Fahrzeuge mehr als es auf den ersten Blick scheinen mag. Beide haben historisch entscheidenden Anteil an den Mobilisierungen aller Lebensbereiche, die das petromoderne 20. Jahrhundert kennzeichnen. Es sind die Prärien des Mittleren Westens und die Steppen der Ukraine und Russlands, auf denen der Traktor sich als zentrales Instrument einer neuen, industriellen Landwirtschaft erweist – der amerikanische Fordson von 1917 wird rasch in der Sowjetunion als Fordson-Putilowez kopiert. Etwa zeitgleich, im September 1916 an der Somme und in der „Tankschlacht von Cambrai“ im Revolutions-November 1917, etabliert sich der Panzer bei seinen ersten militärischen Einsätzen als Ikone petromoderner Kriegsführung. Die für den Panzer entscheidende Idee, eine Raupenkette als eine Art stählernen Fahrweg vor die Räder der Maschine auszulegen, auf dem sich dann nahezu jeder Untergrund überwinden lässt, stammt aus der Landwirtschaft, vom legendären US-amerikanischen Erfinder Benjamin Holt, der 1904 erstmals Raupenketten erprobte.

(…)

Rädergestützt oder auf Raupen ist der Traktor eines der stärksten Symbole einer petromodern mobilen Agrartechnik, die Böden nicht als Teil einer von selbst wachsenden Natur, sondern als technische Ressource begreift, in denen Landwirte nicht mehr mit der Natur, sondern auf Maschinen gegen die Natur arbeiten. Das Unterwerfen feindlicher Armeen oder aufrührerischer Bevölkerungen einerseits und das Zähmen von Naturprozessen im Sinne totaler technischer Verfügung andererseits gehen Hand in Hand. „Die Beherrschung der Natur durch den Menschen verrät uns viel vom Wesen der menschlichen Herrschaft“ wie der Historiker David Blackbourne schreibt. …

Den vollständigen Text gibt es in der aktuellen Ausgabe des Merkur zu lesen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *