»Gäbe es eine Brille, mit der man die Geschichten sehen könnte, die hinter den Stoffen stehen, und würde man diese Brille auf die Wirkung der industriellen Katalyse einstellen – man käme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Fast in jedem Bereich des Alltags sähe man Stoffe, die es bis vor gut 100 Jahren so nicht gab und die seither die Moderne prägen.«
Das
Buch ist vieles in einem: historisches und geografisches Sachbuch,
kulturtheoretischer Essay, Bilderbuch. In dreiundvierzig, von ebenso
vielen Bild-Fundstücken inspirierten Kapiteln, entwickeln wir ein
technisches, geografisches, politisches und spekulatives Panorama der
sich neigenden Erdölmoderne.
Wir schlendern nach Baku, Louisiana, in die Mandschurei und durchs
Wiener Becken. Wir lesen Karl Valentin, technische Handbücher und hören
Neil Young. Es geht zum Mond, durch Raffinerien und über corona-leere
Highways. Wir verknüpfen Petrochemie mit Petromelancholie, Katalyse mit
Katharsis, Kosmos mit Kosmetik. Es geht um die Abgründe und Höhenflüge
eines Stoffes, der unsere Epoche in all ihren Widersprüchen durchzieht,
und dessen Rolle für unsere Gegenwart wir verstehen sollten, um ihn dann
hinter uns zu lassen.
»Es ist nicht nur in unseren Motoren, es ist auch in unseren Körpern, es ist nicht nur in unseren Körpern, es ist auch in unseren Köpfen, es ist nicht nur in unserem Wissen, es ist auch in unserem Wollen und Hoffen.« (Beauty of Oil)
Wie in einem System kommunizierender Röhren sind tatsächlich alle Gesellschaften auf ihre Weise betroffen, Rohstoffökonomien wie Kanada, die Golfstaaten oder Russland, aber auch In-dustrie- und Raffinerieökonomien in Europa und Asien, Produzenten und Konsumenten. Und man wird Wissen aus allen Strängen und Ecken dieses Systems benötigen, um das nächste, dann nachhaltige System zu entwickeln
»Die materielle Bedeutung fossiler Energieträger für die Epoche der Moderne wird weder in der Geschichtswissenschaft noch in der Kulturtheorie oder der Philosophie bestritten. Die uns bekannten Formen von Industrie, Wissenschaft, Kultur und Technik wären ohne den Zustrom von fossiler Energie und ohne die Materialien, die sich aus Kohle und Öl herstellen lassen, nicht möglich gewesen. Mit unserem Schlagwort von der „fossilen Vernunft“ gehen wir aber noch einen Schritt weiter. Was nämlich mit den neuen, aus fossilen Rohstoffen produzierten Energien und Stoffen in die Welt gekommen ist, sind neue Formen von Wissen, neue Horizonte des Machbaren, neue Formen der Erwartung, die an den fossilen Energieträgern hängen. In unseren Alltag ist Wissen über kleinste bis größte Naturzusammenhänge eingebaut, über chemische bis geohistorische, ja fast kosmische Prozesse. Bei jedem Stopp an der Tankstelle begegnen wir einer Jahrmillionen alten Vorgeschichte der Erde. Und wir halten es für selbstverständlich, dass uns die Energie dieser Vorgeschichte für unsere Zwecke zur Verfügung steht. «
Beitrag von Benjamin Steininger in: Rispoli / Rosol (Hg.): Technology and Sublime, Azimuth, Philosophical Coordinates in Modern and Contemporary Age, VI (2018), nr. 12, S. 15-30.