Zwei Aspekte aus dem Buch greifen wir für das Gespräch heraus: Die Verflechtungen von Öl, Kunst und Kapital am Beispiel des “Teheran Museum of Contemporary Art”, sowie das Wiener Becken als Schauplatz eines sehr spezifischen Oil Encounters im 20. Jahrhundert und damit als lokales Schaufenster hinein in die globale Petromoderne.
In drei Kapiteln (I Sonde, II Raffinerie, III Erdölmensch) sprachen und diskutierten Benjamin Steininger und Alexander Klose über zentrale Aspekte ihrer kuratorischen Erforschung der Petromoderne. Das Motto des Festivals, “Planet schreibt zurück!”, diente dabei als Ausgangs- und Endpunkt unserer eigenen Überlegungen:
Wie schreibt man so, dass ein Planet auch antworten kann? (Über Exploration und Wissensformen des Untergrunds)
Was schreibt er uns? (Fossiles Wissen, deep time und Systemökologie als Kollateraleffekt der Explorations- und Extraktionstätigkeit)
Welches Bild des Menschen sendet uns der Planet zurück? (Wir Petromodernen, im schwarzen Spiegel des Öls)
Zu Videomontagen von Bernd Hopfengärtner las die Schauspielerin Franziska Krol Textpassagen aus unserem Erdölatlas.
Im Rahmen von “planet studiert” – Beiträgen des HU Germanistik-Seminars “Climate Fiction” (WS 2021/22) zum Festival “Planet schreibt zurück” – entstand retrospektiv folgende Skizze:
Alena Naima Knüppel, Probebohrung in der Hölle
»Es schien mir, als wenn alle Menschen um mich her in der bejammernswürdigsten Unwissenheit leben, und dass alle ebenso denken und empfinden würden, wie ich, wenn ihnen dieses Gefühl ihres Elends nur ein einziges Mal in ihrer Seele aufginge.«(Tieck: der Runenberg)
»Inspiriert vom Panel 8 „Die Petromoderne(n) – eine Retrospektive“ mit den Kulturwissenschaftlern Alexander Klose und Benjamin Steininger habe ich mich an einer Karikatur versucht. Eingestiegen sind die beiden mit Dantes Vorstellung der neun Kreise der Hölle. Sie interpretierten Dantes literarische Höllenvision als Schichtmodell der Erde, lange bevor die Wissenschaft dasselbe zu träumen wagte.
Der Titel des Festivals „Planet schreibt zurück!“ wirft jetzt die Frage auf, wie man überhaupt so schreiben kann, dass der Planet antwortet?
Nach Klose und Steininger könnte man „seismisches Wissen“ in diesem Sinne interpretieren: Vibrationsdruck sendet Signale in die Erde und der Planet antwortet, indem er die Signale zurücksendet und je nach Beschaffenheit unterschiedlich reflektiert. Durch die Wellensignale entsteht eine Vorstellung von der ‚Unterwelt’, allerdings nur als Hypothese. Die Antwort muss von Geophonen aufgefangen werden, der ‚Briefverkehr’ mit der Erde ist also hochtechnologisch. Dieses Wissen wird unter anderem Ölkonzernen zur Verfügung gestellt, die es ihrerseits dazu verwenden Hypothesen aufzustellen, wo Öl zu finden ist.
Meine Karikatur stellt nun folgendes dar: Angesichts der Klimakrise scheint mir ein derart imaginierter Briefverkehr, als bohre man gradewegs ein Loch in die Hölle.« (Alena Naima Knüppel )
Wir wurden in einen Rausch an einem Stoff hineingeboren, der uns einst grenzenlose Freiheit, die Moderne und Lebenskomfort versprach. Das Erdöl, mit seiner schier endlosen Produktpalette, hat wie kaum ein anderer Stoff unsere moderne Gesellschaft geprägt und verändert. Und unsere Welt gleichzeitig in großes Leid gestürzt. Heute ist unser Öl-Rausch zu Ende, die Dämmerung des Erdölzeitalters hat begonnen und der Film blickt mit Künstlern und Künstlerinnen zurück auf die Petromoderne – unser Zeitalter des Öls.
Und er stellt sich die Frage: Was hat das Erdöl nur mit uns gemacht und warum fällt es uns so schwer, uns von dem schillernd schwarzen Rohstoff zu lösen?
Produktion: VIVE la DOK Filmproduktion und Navigator Film (Österreich) in Koproduktion mit ZDF/ARTE, 2021, Regie: Mathias Frick, 52 min
Mit 150, pandemiepolitikbedingt in der Teilnehmerzahl beschränkten und im Vorfeld registrierten Gästen eröffnete am Freitag, 3.9.2021, um 19:00 Uhr endlich unsere große Erdölausstellung, auf die wir seit 2016 hingearbeitet haben. Anwesend waren Bürgermeister und andere Würdenträger aus Wolfsburg und der Region, aber auch viele Freunde und Freundinnen aus Berlin, Wien, und anderswo. Die Reaktionen sowohl auf unsere Einführungsrede als auch auf die Ausstellung waren freundlich bis begeistert. Nachdem wir schon am Abend zuvor mit den eigens für unsere Ausstellung angereisten Künstler_innen Gunhild Vatn, Wes Bell und Joep van Lieshout bis in den späten Abend im Foyer des Museums geredet und gezecht hatten, setzten wir dies am Eröffnungsabend entschlossen dortselbst und im abgebildeten Eingangsbereich zwischen den heute obligatorischen Urban Gardening-Paletten fort. Es war schön.
Pressekonferenz, Fotos: Marek Kruszewski, Kunstmuseum Wolfsburg
Bereits am Donnerstag zur Pressekonferenz hatte sich ein großes Interesse und hoffentlich entsprechend großes Medienecho angekündigt. Fernsehteams von NDR, 3Sat und ZDF Heutejournal waren da, ebenso Radioleute und Vertreter_innnen diverser regionaler und überregionaler Zeitungen. Hier folgt eine Auflistung aller bislang erschienenen und gesendeten Beiträge (von denen wir etwas mitbekommen haben):
Das Buch fungiert einerseits als Katalog, aber auch als bleibender Beitrag zur Petrokulturforschung mit weit mehr als den in der Ausstellung befindlichen Werken und Forschungsbeiträgen internationaler Expert*innen, deutsche und englische Ausgabe, je 400 Seiten, ca. 450 Abbildungen, Gestaltung Jan Kiesswetter, mit einem Vorwort von Andreas Beitin, einer Einleitung von Alexander Klose und Benjamin Steininger und Texten von Akintunde Akinleye, Leila Alieva, Dominic Boyer, Jan von Brevern, Heather Davis, Elena Engelbrechter, Christoph Engemann, Timothy Furstnau, Eckhart Gillen, Rüdiger Graf, Helmut Höge, Bernhard Hopfengärtner, Isabel J. Piniella Grillet, Karen Pinkus, Christian Schwarke, Suwarno Wisetrotomo und Susanne Witzgall), 39 EUR im Museumsshop und auf kunstmuseum.de
The book operates as a catalogue, but at the same time is meant to be a lasting contribution to petrocultural research with a lot more than the artistic works shown in the exhibition and essays by international experts, German and English edition, each 400 pages, approx. 450 illustrations, design by Jan Kiesswetter, with a foreword by Andreas Beitin, an introduction by Alexander Klose and Benjamin Steininger, and texts by Akintunde Akinleye, Leila Alieva, Dominic Boyer, Jan von Brevern, Heather Davis, Elena Engelbrechter, Christoph Engemann, Timothy Furstnau, Eckhart Gillen, Rüdiger Graf, Helmut Höge, Bernd Hopfengärtner, Isabel Piniella, Karen Pinkus, Christian Schwarke, Suwarno Wisetrotomo, and Susanne Witzgall, 39 EUR at Kunstmuseum Wolfsburg and at kunstmuseum.de.
Das
Buch ist vieles in einem: historisches und geografisches Sachbuch,
kulturtheoretischer Essay, Bilderbuch. In dreiundvierzig, von ebenso
vielen Bild-Fundstücken inspirierten Kapiteln, entwickeln wir ein
technisches, geografisches, politisches und spekulatives Panorama der
sich neigenden Erdölmoderne.
Wir schlendern nach Baku, Louisiana, in die Mandschurei und durchs
Wiener Becken. Wir lesen Karl Valentin, technische Handbücher und hören
Neil Young. Es geht zum Mond, durch Raffinerien und über corona-leere
Highways. Wir verknüpfen Petrochemie mit Petromelancholie, Katalyse mit
Katharsis, Kosmos mit Kosmetik. Es geht um die Abgründe und Höhenflüge
eines Stoffes, der unsere Epoche in all ihren Widersprüchen durchzieht,
und dessen Rolle für unsere Gegenwart wir verstehen sollten, um ihn dann
hinter uns zu lassen.