Natur und Propaganda

Lukas Bärfuss im Gespräch mit Alexander Klose, dazu Lesung von Sandra Hüller. 21.8.2023, Maschinenhaus Essen.

© Alexander Klose, Christian Hüller, Lea Meienberg

Natur ist möglicherweise schon immer ein propagandistischer Begriff, durch den die Sphäre des Menschen und der Mensch selbst ideologisch von allem nicht-Menschlichen abgesetzt und überhöht werden sollte. Mit dem neu erstarkten ökologischen Bewusstsein im Zeichen der Anthropozän-These stürzt die Behauptung der kategorischen Trennung zwischen Mensch und Natur bzw. Kultur und Natur in sich selbst zusammen. In der späten Petromoderne sind die Umwelten eines großen Teils der Menschen als “zweite Natur” ausgestaltet. Jedoch nichts, nicht einmal Beton, Plastik, Virtual Reality oder Raketentechnik, konnte jemals ganz den Boden des gegebenen Sets an Stoffen, chemischen Prozessen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten verlassen. Wenn wir heute also nach Natur fragen, zielen wir entweder auf Dynamiken und Stofflichkeiten, die trotz der konstitutiven Trennungsbehauptung nie aufhörten, in der menschengemachten Sphäre wirksam zu sein. Oder wir adressieren die Akte der diskursiven Setzungen selbst: Was gilt wo und zu welchem Zweck als ‘Natur’?

Das “Natur und Propaganda” überschriebene Gespräch zwischen Lukas Bärfuss und Alexander Klose dreht sich um Aspekte der (petro)modernen Ausstaffierung und Durchdringung der Welt, der modernen industriellen Gesellschaften und Menschen: Stoffe und ihre Dynamiken, wie Kunstdünger oder Zement, Heilsversprechen von Technik und Politik, Sucht, Propaganda und Gegenpropaganda als Kampf um die “Wahrheit der Natur”.

Sonntag, 21.8.22, 17:00, Maschinenhaus Essen, im Rahmen der Ruhrtriennale 2022.

Die offizielle Ankündigung der von Georg Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss konzipierten und geführten Reihe “Die Natur des Menschen” im Programm der Ruhrtriennale findet sich hier.

Das Gespräch wurde für WDR 3 Forum aufgezeichnet und ist bis 23.9.2023 unter diesem Link abrufbar.

Enter the Plastocene

Presentation by Alexander Klose at the transdisciplinary festival and symposium Wasteland, July 8, The Grey Space in the Middle, The Hague.

»The chemical industry knows no waste«, claims an industry propaganda film from the GDR in 1968. Today, the whole Earth seems to have been turned into a planetary plastic waste heap. Thus, the statement sounds weird. Nevertheless, it carries some reasonability in a country and economy relying on stewardship of its scarce resources. Doesn’t that also sound familiar? A good twenty years earlier, a US propaganda film for its war-boosted chemical industry preparing to become civic again had announced that the depicted “world of the molecule belongs to us all. It is yours to explore, your new frontier.” 

GDR propaganda poster for the anti-fascist socialist chemical industry, 1960

The plastic turn had a utopian potential that actualized in different political ideologies. From a certain historical point, to be modern meant to be living in plasticized environments. But the problem with plastics, one may assume, was not caused mainly by its “supernatural” materiality, but by the social and economical organization of its distribution. Consumerism was the civil religion of the American century. Also the socialist regimes gave in to it as a means of manifesting freedom and prosperity in a modern society. That may have been one major nail in their coffin, as a communist idealist might argue. It certainly was another milestone in the advent of the plastocene.

The talk traced the course from plastic crazes in West and East to today’s global plastic waste crises and further to queer and square plastic futures.

The talk took place on the first day of the three-day-symposium Wast3D-Care, on friday july 8, at 5:30 pm. Festival and symposium Wasteland were conceptualized and organized by Yannik Güldner & Leon Lapa Pereira.

time: 
July 8, 5:30 pm

location: 
The Grey Space in the Middle 
Paviljoensgracht 20
2512 BP, The Hague
The Netherlands

»Combustion: Reading the Ashes«, seminar at HKW Berlin with Barbara Fiałkiewicz-Kozieł, Neil Rose, and Benjamin Steininger, 20.5.2022, 5 pm

In the context of the congress »Unearthing the Present« (19.5.-22.5.2022), one of the final events after ten years of Anthropocene research and debate at HKW, together with the members of the Anthropocene-Working-Group Barbara Fiałkiewicz-Kozieł (PL) and Neil Rose (UK), Benjamin Steininger will be giving the seminar »Combustion: Reading the Ashes« on Friday, 20.5.2022, 5 pm. It is part of a series of presentations on Friday.

Find more about the congress »Unearthing the Present« (19.5.2022-22.5.2022) and the Workshop series »Markers – Material Delineations of the Present« (20.5.2022, 3–9 pm) at the respective links

In English // Free admission // Limited capacity, registration is desired:

Registration_Markers@hkw.de

Microplastics in bodies of water or organisms or the accumulation of radionuclides from nuclear weapons tests – anthropogenic markers have a political, technological and ecological history behind them. Developed from the online publication Anthropogenic Markers, researchers of the Anthropocene Working Group, humanities scholars and artists provide an insight into the laboratory practice of “Anthropocene forensics.” Eight sessions examine chemical and biological fingerprints as demarcations for the new geological epoch of the Anthropocene. Registration for individual workshops is now open.

Preview von »Petro-Melancholie. Das Erdölzeitalter im Spiegel der Kunst« Dokumentation von Mathias Frick, ARTE/ZDF 2021, 52 min, 4.5.2022, HKW Berlin

Ausstrahlung auf ARTE: Mittwoch, 22. Juni 2022, um 21:45 Uhr und auf arte.tv bis zum 22. Juli 2022


Der fossile Rohstoff Erdöl hat sich in vielen Facetten unseres Lebens manifestiert und in den letzten 150 Jahren nicht nur unsere Maschinen befeuert, sondern auch unsere Fantasien, Wünsche und Träume. Im Zeitalter der Petro-Moderne wurde Erdöl in
unseren westlichen Gesellschaften zu einem Katalysator für Wachstum und Konsum – und damit zum Sinnbild für Freiheit, Moderne und Wohlstand. Heute neigt sich dieses Zeitalter dem Ende entgegen und uns wird schmerzlich bewusst, wie abhängig
sich die moderne Gesellschaft von diesem Stoff gemacht hat.

Das HKW (Haus der Kulturen der Welt) forscht bereits seit Jahren in verschiedenen interdisziplinären Projekten zum Anthropozän, dem vom Menschen gemachten Erdzeitalter. Der Ausbeutung planetarischer Rohstoffe wie dem Erdöl kommt
hierbei eine wichtige Rolle zu.

Der Regisseur Mathias Frick hat sich gemeinsam mit den Kulturwissenschaftlern Benjamin Steininger und Alexander Klose auf die Reise zurück in die Petro-Moderne gemacht. Der Film erzählt entlang von Kunstwerken aus verschiedenen Teilen dieser Welt, wie tief unser Leben von den Kreisläufen des Erdöls durchdrungen ist. Zur ARTE-Filmpremiere im HKW laden wir Sie herzlich ein.

Vor dem Film: Einführung durch Bernd Scherer (Intendant HKW).
Nach dem Film: Gespräch mit Mathias Frick, Alexander Klose, Benjamin Steininger und der Produzentin Eva Rink (Vive la Dok).


Bernd Scherer, noch Intendant des HKW, hält die Begrüßungsrede und verknüpft die Petromoderne-Forschung mit seinem eigenen, wichtigsten Forschungsfeld der letzten zehn Jahre, der Frage nach dem Anthropozän.

»AnthropoFest« at Tulane University New Orleans, 5.5.2022, licenced and approved as »bureaucratic research and documentation« by Beauty of Oil

The workshop at Tulane University was inspired by the 2019 Beauty of Oil »Bureau of Commodity Flows« (link to the report here) . We are happy to be part of it, at least from the distance !

»AnthropoFest invites festival goers to bring an object at JazzFest and register it to generate a collection that reflects the material culture of Jazz Fest this year. Plastic straw, mango sorbet, sand from the racetrack, or sunscreen: come create this collection! Where did this stuff come from and how does it relate to the Anthropocene— or Age of Humankind? Join us in collecting and creating the 2022 JazzFest AnthropoFest Collection!«

See our certificate displayed in a very nice way on the right top in the black frame.

»Erdöl. Ein Atlas der Petromoderne«, Gespräch zum Buch mit Benjamin Steininger. Galerie Hinterland Wien, 18.2.2022, 18:00, Begleitprogramm zur Ausstellung »The Shape of Oil«

Galerie Hinterland, Krongasse 20, 1050 Wien, www.hinterland.ag (mehr hier)

Zwei Aspekte aus dem Buch greifen wir für das Gespräch heraus: Die Verflechtungen von Öl, Kunst und Kapital am Beispiel des “Teheran Museum of Contemporary Art”, sowie das Wiener Becken als Schauplatz eines sehr spezifischen Oil Encounters im 20. Jahrhundert und damit als lokales Schaufenster hinein in die globale Petromoderne.

Vorbericht in der Wiener Straßenzeitung AUGUSTIN

»Oil« has left the building – im übertragenen und im sehr materiellen Sinn. Die Wolfsburger Ausstellung »Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters« hat ihre Tore geschlossen

Seit 3. September 2021 und bis zum 9. Januar 2022 war »Oil« unter großem Medien- und Publikumsinteresse am Kunstmuseum Wolfsburg geöffnet – erfreulicherweise ohne einen einzigen Tag Corona-Ausfall.

Jetzt schreitet der Abbau mit Riesenschritten voran. Leihstücke aus aller Welt und in tatsächlich allen Erscheinungsformen treten die Heimreise an: vom 14 Meter breiten Wandrelief von Tony Cragg bis zur 3 mm kleinen Ölfliege aus Kalifornien.

400 Liter Öl aus dem Ölspiegel wurden abgepumpt und wiederverwertet, getreu dem Motto unseres Ausrüsters Avista-Oil: »Jedes Ende ist ein neuer Anfang« (siehe unten, Aufschrift LKW).

Wir bedanken uns noch einmal ganz herzlich auf diesem Weg beim gesamten Museumsteam in Wolfsburg für die tolle Zusammenarbeit und wünschen alles Gute für den unmittelbar anschließenden Aufbau von »Macht! Licht!« (Eröffnung am 12.3.2022)!

Fotos: Elena Engelbrechter

»Beauty of Oil« am 28.11.2021 beim Festival »Planet schreibt zurück!« im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

dieses und alle anderen Fotos in diesem post von Jan Michalko/CCN

In drei Kapiteln (I Sonde, II Raffinerie, III Erdölmensch) sprachen und diskutierten Benjamin Steininger und Alexander Klose über zentrale Aspekte ihrer kuratorischen Erforschung der Petromoderne. Das Motto des Festivals, “Planet schreibt zurück!”, diente dabei als Ausgangs- und Endpunkt unserer eigenen Überlegungen:

Wie schreibt man so, dass ein Planet auch antworten kann? (Über Exploration und Wissensformen des Untergrunds) 

Was schreibt er uns? (Fossiles Wissen, deep time und Systemökologie als Kollateraleffekt der Explorations- und Extraktionstätigkeit)

Welches Bild des Menschen sendet uns der Planet zurück? (Wir Petromodernen, im schwarzen Spiegel des Öls)

Zu Videomontagen von Bernd Hopfengärtner las die Schauspielerin Franziska Krol Textpassagen aus unserem Erdölatlas.

Im Rahmen von “planet studiert” – Beiträgen des HU Germanistik-Seminars “Climate Fiction” (WS 2021/22) zum Festival “Planet schreibt zurück” – entstand retrospektiv folgende Skizze:

Alena Naima Knüppel, Probebohrung in der Hölle

»Es schien mir, als wenn alle Menschen um mich her in der bejammernswürdigsten Unwissenheit leben, und dass alle ebenso denken und empfinden würden, wie ich, wenn ihnen dieses Gefühl ihres Elends nur ein einziges Mal in ihrer Seele aufginge.« (Tieck: der Runenberg)

»Inspiriert vom Panel 8 „Die Petromoderne(n) – eine Retrospektive“ mit den Kulturwissenschaftlern Alexander Klose und Benjamin Steininger habe ich mich an einer Karikatur versucht. Eingestiegen sind die beiden mit Dantes Vorstellung der neun Kreise der Hölle. Sie interpretierten Dantes literarische Höllenvision als Schichtmodell der Erde, lange bevor die Wissenschaft dasselbe zu träumen wagte.

Der Titel des Festivals „Planet schreibt zurück!“ wirft jetzt die Frage auf, wie man überhaupt so schreiben kann, dass der Planet antwortet? 

Nach Klose und Steininger könnte man „seismisches Wissen“ in diesem Sinne interpretieren: Vibrationsdruck sendet Signale in die Erde und der Planet antwortet, indem er die Signale zurücksendet und je nach Beschaffenheit unterschiedlich reflektiert. Durch die Wellensignale entsteht eine Vorstellung von der ‚Unterwelt’, allerdings nur als Hypothese. Die Antwort muss von Geophonen aufgefangen werden, der ‚Briefverkehr’ mit der Erde ist also hochtechnologisch. Dieses Wissen wird unter anderem Ölkonzernen zur Verfügung gestellt, die es ihrerseits dazu verwenden Hypothesen aufzustellen, wo Öl zu finden ist. 

Meine Karikatur stellt nun folgendes dar: Angesichts der Klimakrise scheint mir ein derart imaginierter Briefverkehr, als bohre man gradewegs ein Loch in die Hölle.« (Alena Naima Knüppel )

»Beauty of Oil« am 24.11.2021 in der ARTE-Sneak-Preview am Kunstmuseum Wolfsburg: »Petro-Melancholie. Das Erdölzeitalter im Spiegel der Kunst.« Ein Film von Mathias Frick. Und am 11.5.2022 auf ARTE!

Wir wurden in einen Rausch an einem Stoff hineingeboren, der uns einst grenzenlose Freiheit, die Moderne und Lebenskomfort versprach. Das Erdöl, mit seiner schier endlosen Produktpalette, hat wie kaum ein anderer Stoff unsere moderne Gesellschaft geprägt und verändert. Und unsere Welt gleichzeitig in großes Leid gestürzt. Heute ist unser Öl-Rausch zu Ende, die Dämmerung des Erdölzeitalters hat begonnen und der Film blickt mit Künstlern und Künstlerinnen zurück auf die Petromoderne – unser Zeitalter des Öls.

Und er stellt sich die Frage: Was hat das Erdöl nur mit uns gemacht und warum fällt es uns so schwer, uns von dem schillernd schwarzen Rohstoff zu lösen?

Produktion: VIVE la DOK Filmproduktion und Navigator Film (Österreich) in Koproduktion mit ZDF/ARTE, 2021, Regie: Mathias Frick, 52 min